Im Gespräch mit Kurt Diemberger - Freiluftseele

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Im Gespräch mit Kurt Diemberger
Kurt Diemberger: „Kreativ sein, das ist der Inhalt meines Lebens!"

Man kennt ihn als Himalaya-Pionier, als Bergsteiger, der gleich zwei Achttausender erstbesteigen konnte, als brillanten Bergfilmer, als Fotograf, als Schriftsteller, als einen, der fesseln, der begeistern kann! Er ist ein Individualist, der dem Alpinismus Farbe und Kontur gibt!


Lieber Kurt, Du wirst in diesem Jahr 87. Wie geht es Dir?
Es geht mir mal so und mal so. Im Moment habe ich viel zu tun, seitdem ich in Bilbao den Grand Prix 2018 der IAMF für meine Pioniertätigkeit auf dem Gebiet des Bergfilms erhielt. Auch bin ich einige Tage in Salzburg, um Vorbereitungen für eine Fahrt im Herbst 2019 zu machen – da geht es nach Korea zum Ulju-Mountainfilmfestival.
© Archiv Heckmair-Auffermann
Hast Du dabei noch Zeit, ab und zu etwas in den Bergen zu unternehmen?
Ja bestimmt, auch wenn mich keine Gipfel mehr reizen, gehe ich gerne mit Skistöcken über die Hügel des Apennin oder besuche in den Alpen eine Berghütte. Auch Traversierungen über Blumenwiesen angesichts hoher Berge haben ihren Reiz – manchmal denk ich dann: dort droben warst du auch schon – und klettere in Gedanken einen Grat hinauf!
Du bist ja nach wie vor zu Vorträgen unterwegs. Und die Menschen hören Dir ja nicht nur zu, sondern schätzen immer noch Deine Bücher. Schließlich bist Du ja ein ganz besonderer Autor. Ich vermute, Du arbeitest gerade wieder an einem neuen Buch?
Ja natürlich! Obwohl ich vor lauter anderer Arbeit nicht so zum Schreiben komme, wie ich es gerne möchte. Das neue Buch heißt „Das Quantum Glück“. Ich verfolge dabei Gedanken aus dem Film „Verso dove?“, den Luca Bich aus Interviewteilen von mir gemacht hat, weiter und schaue, was eigentlich das Glück ausmacht, denn es ist ja viel mehr als sich nur beim Skifahren den Haxen nicht zu brechen. Das ist etwas Großes, etwas schwer Fassbares, hat z.B. mit dem unbeschreiblichen Glück der großen Höhe zu tun und dem Empfinden, wie kraftvoll und heilig ein bestimmter Ort ist. Und eine Projektidee habe ich ebenfalls: Ich möchte gerne, dass irgendwann meine Bücher – vielleicht nicht alle – als Gesamtausgabe erscheinen.

Das ist verständlich, denn Du schaffst es ja, die Menschen emotional zu erreichen. Vor allem mit Deinem zentralen Motiv „ich will entdecken“. Magst Du heute immer noch entdecken?
Sicher! Zum Beispiel in Büchern. Ich bin ein gefesselter Leser und lese sehr oft in der Nacht englische, deutsche oder italienische Bücher – da bin ich sehr lebendig, am Morgen dafür weniger ... Ich gehe auch auf Entdeckungsreise in meine Vergangenheit. Ich habe ein sehr bildhaftes Gedächtnis. So schaue ich manchmal durch hunderte Bilder auf mein Leben zurück und erinnere mich wieder ganz genau. Dann heißt es, schreiben!
Kurt Diemberger bei der Überkletterung des Eiswulstes in der Ortler-Nordwand (1956). Deutlich sichtbar ein Marwa-Karabiner – damals eine Neuheit – und ein sogenanntens Eisbeil. Kurt und sein Partner Alfred Morocutti haben den Wulst an der leichsteten Stelle überklettert, um aus der Schusslinie der Eisbrocken zu kommen. Die Einzelheiten der Durchsteigung sind in Kurts Buch „Der siebte Sinn“ nachzulesen. Foto A. Morocutte, Archiv Diemberger
Du hast seit langem Deinen Lebensmittelpunkt in der Nähe von Bologna - was schätzt Du am Leben in Italien?
An Italien schätze ich die große Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander. Ich lebe sehr gerne hier, natürlich auch, weil meine Familien da sind – sei es in Varese, wo Tona, meine einstige Gattin und ich inzwischen den Großeltern-Status erreicht haben, sei es in Bologna, wo ich mit meiner Frau Teresa, ihren beiden Schwestern und der Familie unseres Sohnes daheim bin. In Österreich bin ich deswegen nicht weniger zu Hause, auch da ist ein Sohn, eine Tochter, ich habe Freunde und auch noch meine Wohnung in Salzburg.

Wie würdest Du Heimat definieren, was macht Heimat für Dich aus?
Wo ich mich zu Hause fühle, ist, wo ich verstanden werde. Folglich gibt es für mich nicht wirklich eine Grenze. Die Sprache gehört für mich zur Heimat, die Berge sind für mich Heimat, und mit denen bin ich auch auf der ganzen Welt „per Du“ - freilich mit Respektabstand. Den Respekt vergesse ich nie – auch bei den mir nächsten Bergen.
Für Dich, der in Österreich geboren und groß geworden ist, bleibt sicher das Gefühl der Verbundenheit, oder?
Ich möchte bloß sagen: Für mich ist Österreich einfach das grüne Land, die Heimat, der Wald, und vor allem ist da auch meine Muttersprache. Daheim fühle ich mich besonders in Kärnten und auch in Salzburg – in Kärnten verbrachte ich die unauslöschbare Jugendzeit, und in Salzburg, da hatte ich noch Vater und Mutter. In Kärnten besitze ich auch noch das Holzhaus am Osiachersee, wo ich die ersten zehn Jahre aufgewachsen bin. Da kann ich die Seele baumeln lassen. Es berührt mich immer wieder, wenn ich dort Kärntnerisch höre.
Kurt Diemberger im Jahr 1957. Schon früh dokumentierte er seine Erlebnisse auch mit der Kamera. © Kurt Diemberger
Lieber Kurt, bezogen auf Dein Zuhause bei Bologna - wie sieht ein normaler Tag bei Dir aus?
Ich bin kein Frühaufsteher! Manchmal stehe ich erst um 10 Uhr oder später auf. Dann mache ich Gymnastik, aber nicht sehr lange. Anschließend fährt mich meine Frau Teresa hinunter ins Dorf, denn Bergabgehen, das erspare ich mir, weil mir danach tagelang die Knie weh tun. In der Bar „Snoopy“ trinke ich einen Cappuccino oder zwei und gehe dann mit Skistöcken wieder hinauf. Das sind so ungefähr anderthalb Kilometer.

Und was ist eine „normale“ Woche?
Die gibt es nicht. Es hängt ganz davon ab, ob ich unterwegs bin oder woran ich arbeite. Wenn es geht, kommen dann am Wochenende meine beiden Enkel Erik und Mark (5 und 7 Jahre) mit ihrer Mutter Carmen aus Bologna zu mir. Manchmal samt ihrem Vater, meinem Sohn Igor, einem oft Tag und Nacht beschäftigten Herzarzt!

Es gibt also auch den babysittenden Kurt?
Den Babysitter Kurt hat es nur gelegentlich gegeben. Als z.B. einer meiner Enkel etwa drei war, da habe ich ihm deutsche Kinderlieder beibringen wollen wie „Alle meine Entchen ...“. Dann hat man ihm leider zu Hause einen Computer gezeigt, der hat mir den Rang abgelaufen. Das fand ich sehr schade, denn ich selbst habe über das Singen Italienisch gelernt und finde, Singen ist etwas ganz Großartiges.
Konntest Du ihnen denn trotzdem etwas von Deiner Begeisterung mitgeben?
Ich versuche den Kindern irgendwie das Entdecken weiterzugeben! Ich möchte eigentlich mit ihnen Wandern – wie mein Vater (er war Biologe) es mit mir und meiner Schwester tat - einfach durch die Natur - und uns dabei alles Mögliche erklärte, Pflanzen, Schmetterlinge usw. Wir haben in großen (leeren) Marmeladegläsern bestimmte Raupen gefüttert, bis eines Morgens dann ein herrliches Tagpfauenauge entschlüpfte – wir Kinder waren begeistert!

Was bedeutet es Dir, eine Familie zu haben, Menschen, mit denen Du vertrauensvoll durchs Leben gehen kannst?
Das ist mir wirklich wichtig. Ich habe ja eine weitreichende Familie, auch noch meine Tochter Hildegard in Cambridge. Ich weiß oft nicht, wie ich mich aufteilen soll. Ich habe so viele Verbindungen und Freunde, auch weltweit.
Kurt mit dem Grand Prix der IAMF, den er 2018 in Bilbao für seine Pioniertätigkeit auf dem Gebiet des Bergfilms erhielt. © Kurt Diemberger
Kurt, Du hast ein gewichtiges Stück Alpingeschichte geschrieben und verkörperst auch die großen Werte des Bergsteigens. Welche Zeit würdest  Du als die schönste, die erfüllendste bezeichnen?
Ich kann nicht eine einzige Zeit rausnehmen, es gab viele unter jeweils anderen Vorzeichen. Die Zeit in Salzburg, als junger Bursche bei der Fossiliensuche in der Glasenbachklamm am Untersberg. Auch die Hohen Tauern bei der Kristallsuche und die Westalpensommer mit Wolfi Stefan und natürlich der Broad Peak mit Hermann Buhl. Oder die Hindukusch-Expeditionen, da hatten wir das ganze Tirich Mir-Gebiet für uns allein. Eine ganz fantastische Freiheit. Auch die Zeit mit Julie am K2, dazu noch die sieben Expeditionen ins Shaksgam, das war jedes Mal eine Erfüllung und hat mich immer wieder in den Bann gezogen.

Mir fällt noch die erste Überwindung der Riesenschaumrolle an der Königsspitze ein. Gehört die für Dich auch dazu?
Natürlich, das war für die damalige Zeit das Nonplusultra. Wenn die noch da wäre, wäre die auch heute noch eine große Herausforderung – und nicht jeder Eisgeher würde sich an so eine haushohe Rolle mit Schnee- und Eisschichten wie bei einem Blätterteig wagen! Weit schwieriger als ein gefrorener Wasserfall - und genauso gefährlich.

Zudem ist Dir beim Steine sammeln auch ein großartiger Fund gelungen. Was war das genau?
Es war das Auffinden eines der seltensten Fossilien der Erde, im Hindukusch - wo ich 1967 bei der Überschreitung des Owir An Passes auf einen Rezeptakuliten stieß, ein eigenartiges Wesen, 360 Millionen Jahre alt – unklar ob Tier oder Pflanze. Damals sagte mir mein Gespür: das ist etwas Besonderes, vielleicht unerklärbar – nimm es mit! Dieser Receptaculites Neptuni Defrance (ich habe darüber in „Gipfel und Gefährten“ geschrieben) wurde erst neunmal auf der Erde gefunden – und von mir zum ersten Mal in Pakistan! Die dortigen Wissenschaftler waren begeistert – ich wurde nicht nur wegen meiner Freundschaft zu Hermann Buhl und unserer bergsteigerischen Leistungen mehrmals nach Pakistan eingeladen.
Es gibt in Deinem Leben eine solche Fülle von Erlebnissen und Erfolgen, leider aber auch schlimme Verluste. Wenn Du es Dir wünschen könntest, was hätte sich anders ereignen sollen?
Zum Beispiel 1983 an der K2-Nordkante, da waren Julie und ich bis auf 8000 Meter gekommen, dann mussten wir wegen eines Wettersturzes aufgeben. Das war ein absolutes Manko an Glück. Hätten wir den Gipfel damals schon erreicht, dann wären wir 1986 nicht neuerlich zum K2 gefahren und Julie wäre dann auch nicht ums Leben gekommen. Manchmal hängt leider im Dasein eines Menschen alles wie eine Kette aneinander. Ja wenn - ich hadere noch immer mit dem Schicksal, aber man kann nichts mehr ändern.

Wärst Du in der heutigen Zeit noch mal gerne ein junger Alpinist? Wenn ja – was wären Deine Herausforderungen?
Weiter das Unbekannte suchen, den Aufbruch ins Ungewisse. Es ist ja  nicht wahr, dass es das nicht mehr gibt. Das Ungewisse ist heutzutage nicht mehr so ungewiss, wie es einstmals war, aber es gibt das immer noch. Und ja, gerne würde ich als junger Alpinist noch Fernziele suchen, wie sie Hermann Buhl schon damals beim Aufstieg an der Chogolisa in der Ferne gesichtet hat: unbekannte, eigentlich namenlose Berge.

Und wenn Du auf die heutige Generation blickst: Verfolgst Du noch das aktuelle alpine Geschehen?
Natürlich, aber die Rekorde interessieren mich überhaupt nicht. Auch die Schwierigkeitsbewertungen sind fast eine Wissenschaft geworden. Neu entdeckte Routen und auch neue Gebiete, ja, das interessiert mich noch immer. Auch die Rückbesinnung zum traditionellen Klettern finde ich spannend, denn ich habe in meinem ganzen Leben keinen Expansionshaken geschlagen!
Eine Aufnahme aus der Westalpenzeit mit Wolfi Stefan.
© Kurt Diemberger
Was läuft da falsch Deiner Meinung nach?
Am wenigsten mag ich mangelnde Kompetenz oder wenn es nur um Publicity geht. Auch dass von Journalistenseite oft nur nach begangenen Fehlern gesucht wird. Oft haben diese Leute keine Ahnung von der Situation, können gar nicht nachvollziehen, was da wirklich geschah, und haben mitunter auch mangelhaft recherchiert.
Was erfreut Dich?
Zum Beispiel die Arbeit von Mountain Wilderness. Hier habe ich mit Reinhold Messner - den ich seit vielen Jahrzehnten kenne und der wie ich Gründungsmitglied ist - zusammengearbeitet, auch wenn wir nicht immer „aus demselben Fenster gesehen haben“. Oder auch die Organisation ECOHIMAL, die den Bergbewohnern des Himalaya hilft. Bei der italienischen Gruppe ist meine erste Frau Tona Präsidentin und ich bin Ehrenpräsident.

Und was ärgert Dich richtig?
Jede Art von Schwindelei. Dazu gehört auch übertriebenes Trommeln in den Medien. Intrigen. Aber auch Kurzsichtigkeit und Naivität beim Beurteilen. Oder „Ausreden“ wie z.B. sogenannte Missverständnisse.

Was macht Dich denn glücklich?
Mit Menschen auf einer Wellenlänge zu sein, aber auch mit der Natur. Und Erkenntnisse daraus zu ziehen.
Kurt Diemberger auf dem Kölner Alpintag. © Archiv Heckmair-Auffermann
Das spricht für einen starken Charakter und ein klares Wertesystem. Worin siehst Du Deine wichtigsten Charaktereigenschaften?
Ich denke, Durchhaltevermögen und die Suche nach dem Wesentlichen.

Was ist Dein größter, Dein wichtigster Wert?
Kreativität, den Blick für die Wahrheit und noch mal Durchhaltevermögen – beide Punkte kann ich schlecht trennen. Kreativ sein, das ist der Inhalt meines Lebens: Filme machen, Bücher schreiben, Vorträge halten. Und dann macht es nichts, wenn ich nach und nach weniger körperlich aktiv sein kann, denn im Kopf kann ich dann ja immer noch gehen.

Du hast ja so viele Deiner Erlebnisse in Form von Filmen und Fotos dokumentiert und auch wichtige, nahezu philosophische Texte verfasst. Was wünscht Du Dir, was mit diesem Vermächtnis passieren soll?
Zur Zeit wälze ich Ideen. Mein Großvater ist 103 Jahre geworden. Zu seinem 100. Geburtstag hat er noch ein Gedicht geschrieben und es selbst vorgetragen. Dafür habe ich ihn bewundert. Ich möchte, dass etwas von mir weiter wirkt, weiß aber noch nicht wie.
Erschienen in Land der Berge 1-2/2017
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